Der Kreuzeck-Höhenweg hat es in sich: über 52,8 Kilometer geht es bei ständigem Bergauf und -ab den Kamm der Kreuzeckgruppe entlang – 3500 Höhenmeter sind zu überwinden.
Das Gelände ist felsig und dann auch wieder ganz seicht entlang der schönen Almwiesen. Die Mühe wird aber mit einer spektakulären Aussicht und feinen, kleinen Schutzhütten belohnt.
Gemeinsam mit meiner Freundin Leonie mache ich mich auf den Weg, zwei Etappen dieser Strecke zurückzulegen. Am ersten Tag wollen wir von der Feldnerhütte bis zur Hugo-Gerbers-Hütte gehen. Bereits die Nacht verbringen wir nach dem Zustieg hier oben. Ein schöner Einstieg, denn schon gleich fühlt man sich dem Alltag entflohen und kann schon mal den spannenden Geschichten der anderen Wanderer lauschen. Nur die Nacht ist im Schlaflager nicht ganz so erholsam, aber mit Ohrenstöpseln bekommen wir vom typischen Schnarchkonzert nur wenig mit und wachen halbwegs ausgeschlafen am nächsten Morgen auf.
Trotz guter Wetterprognose sehen wir uns beim Blick aus dem Fenster mit einer grauen Wand konfrontiert. Wir hoffen darauf, dass es nur eine Wolke ist und machen uns nach einem guten Frühstück auf den Weg. 9 Kilometer liegen vor uns. Der erste Anstieg hat es schon mal in sich, denn wir müssen von hier aus erst einmal auf den Bergkamm gelangen. Mit jedem Schritt spüren wir das Gewicht unserer Rucksäcke und ich bin froh, nur das Nötigste eingepackt zu haben. Trotzdem braucht man fürs Weitwandern deutlich mehr Ausrüstung als für einen Tagesausflug. Die ersten zwei Stunden werden wir von dichtem Grau umhüllt und von der schönen Aussicht bekommen wir leider nur wenig mit. Dafür können wir uns voll und ganz auf den Weg konzentrieren. Das ist auch notwendig, als wir zur ersten seilversicherten Stelle kommen. Ein paar sichere Tritte über den schmalen Felsvorsprung und wir sind schon auf der anderen Seite. Hier zieht sich der schmale Weg den Hang entlang. Wir können erahnen, dass es dort steil nach unten geht, aber die Sicht reicht auch hier nur ein paar Meter weit.
Gegenseitig motivieren wir uns weiter zu gehen und wissen, gute Laune ist das beste Mittel gegen schlechtes Wetter. Auf und ab geht es dahin. Andere Wanderer tauchen aus dem Nebel auf; auch mit ihnen tauschen wir kurz ein paar aufmunternde Worte, sie wünschen uns einen guten Weg und schon geht es weiter. Ein längerer Anstieg führt uns zum höchsten Gipfel der Kreuzeckgruppe, dem Hochkreuz (2709 m). Eine Aussichtsbank deutet darauf hin, dass man hier sonst gerne verweilt und die Aussicht genießt, aber uns hält es nur kurz hier oben. Beim Abstieg wird unser Durchhaltevermögen belohnt und endlich kommt ein wenig blauer Himmel zum Vorschein.
„Schau! Wie schön!“, ruft Leo und deutet hinunter ins Tal. Tatsächlich hebt sich die Wolkendecke etwas und wir können für den Rest des Weges zumindest in die grünen Täler hinabschauen. Allein an diesem Ausblick können wir uns gar nicht satt sehen. Nun sehen wir auch, wie steil der Hang neben dem Weg tatsächlich abfällt. Wer hier nicht schwindelfrei und trittsicher ist, wird an diesem Weg wohl keine Freude haben.
Nach fünf Stunden erreichen wir unser heutiges Ziel: die Hugo-Gerbers-Hütte. Freundlich werden wir begrüßt und bekommen erst mal einen warmen Tee in der eingeheizten Küche. Eine warme Dusche sucht man übrigens auf dem ganzen Weg vergebens. Stattdessen waschen wir uns an der eiskalten Quelle, das erfrischt und macht uns wieder munter. Oft klingelt das Telefon in der Hütte. Wanderer wollen sich einen Schlafplatz reservieren, aber für die nächsten Tage ist die Hütte schon voll belegt. Auf dem Weg gibt es nur ein paar kleine Hütten, das macht den Charme aus, bietet aber auch wenig Betten. Wir haben heute Glück: nur fünf andere Wanderer sind mit uns auf der Hütte und wir erfahren, dass einige, abgeschreckt vom Wetter, lieber wieder ins Tal abgestiegen sind.
Ich wandere am Nachmittag noch ein wenig durch das schöne Hochtal unterhalb der Hütte, höre die Bäche rauschen und bin mal wieder fasziniert von der Pflanzenwelt hier oben. Nimmt man sich ein wenig Zeit, gibt es unzählige Arten zu entdecken. Kratzige Disteln, weiche saftige Flechten und Moose oder den schönen, aber giftigen blauen Eisenhut. Auch das Licht- und Schattenspiel gibt der Landschaft einen besonderen Anstrich.
Nach der heutigen Etappe fallen wir müde und trotz starkem Wind, der noch um die Hütte pfeift, müde und zufrieden ins Bett. Am nächsten Morgen ist die Freude groß, als wir aus dem Fenster die ersten Sonnenstrahlen entdecken. Nach dem Frühstück geht es auch schon wieder gut gestärkt weiter. 13 Kilometer und 1200 Höhenmeter warten auf uns. Ich kenne diese Strecken eigentlich immer nur als Aufstieg auf einen Gipfel, um dann wieder hinunter zu steigen. Aber heute können wir beinahe die ganze Strecke, die vor uns und auch hinter uns liegt, überblicken.
Nach den ersten Metern hören wir schon die Murmeltiere pfeifen. Eine richtige Gefahr scheinen wir aber nicht für sie darzustellen, denn sie bleiben anscheinend auch erfreut über das bessere Wetter heute, in der Sonne sitzen. Mit Blick auf die Almen geht es heute recht entspannt los, erst mit der Zeit wird der Pfad wieder schmaler und führt uns über felsige Gipfel und Grate, auf denen wir wieder konzentriert einen Fuß vor den anderen setzen.
Die beeindruckende Landschaft verleitet uns immer wieder dazu, kurze Pausen einzulegen, um die Aussicht zu genießen. Die Bergkette zieht sich am Horizont entlang, Bergseen und Bäche liegen inmitten grüner Almwiesen. An einer eiskalten Quelle füllen wir unsere Wasserflaschen noch einmal auf. Ab dem Damerkopf führt der Weg über große Steinblöcke, auf denen Flechten über Jahrhunderte kleine Kunstwerke geschaffen haben. Gelb, grün und orange leuchten sie auf den Felsen. Sie sind sogenannte Pionierpflanzen, die sich unter widrigsten Umständen auf Felsen und Bäumen ansiedeln können und die Grundlage für neues Leben schaffen. Auch der starke Wind macht ihnen nichts aus. Unsere Motivation wird noch einmal herausgefordert, als wir vom Zietenkopf eine schwarze Regenwand auf uns zukommen sehen. Zum Glück ist es nur Regen und kein Gewitter, der dort aufzieht. Ich schätze, in einer halben Stunde wird der Regen bei uns ankommen.
Das Anna-Schutzhaus, unser heutiges Ziel, liegt noch circa zwei Stunden entfernt. Einen Unterstand gibt es nicht und so bleibt uns nichts anderes übrig, als uns innerlich und äußerlich darauf einzustellen, dass wir bald nass werden. Eigentlich habe ich so gar keine Lust darauf, aber es hilft nichts. Wir kramen Regenjacke und Regenschutz aus dem Rucksack. Immerhin Kilos, die nicht umsonst mit auf den Berg gewandert sind. Ein kurzer und heftiger Schauer geht über uns hinweg. Nach einer Viertelstunde sind wir nass und der Weg von Pfützen gesäumt, aber all das ist Teil des Weitwanderns und ist eigentlich gar nicht so schlimm. Zum Glück ist der Weg nicht rutschig durch den Regen und bald kommt die Sonne wieder heraus.
Langsam, aber sicher, nähern wir uns dem Anna-Schutzhaus und zu unserer großen Freude werden wir hier nicht nur von sehr netten Wirten, sondern auch von einer ganzen Herde Lamas begrüßt. Karl-Peter Schneeberger ist Bergwanderführer und mit einer Gruppe zum Lamatrekking (http://www.dolomitenlama.at/?page_id=626) unterwegs, erzählt er uns im breiten Osttiroler Dialekt. Hungrig machen wir uns über die sehr leckeren Schlipfkrapfen her. Am Tisch kommen wir mit zwei Frauen ins Gespräch. Sie haben noch den gesamten Weg vor sich und fragen nach unseren Erfahrungen. Gerne teilen wir unsere Erlebnisse und Eindrücke der letzten Tage. In kürzester Zeit ergibt sich ein angeregtes Gespräch und wir lassen den Abend gemeinsam auf der Hütte ausklingen.
Hier oben in den Bergen kommen die Leute zusammen. Ohne Handyempfang, Computer und Fernsehen hat man wieder Zeit für lange Gespräche und eine Partie „Mensch-ärgere-dich-nicht“. Irgendwie passend, da es auch unser Motto der letzten zwei Tage war. Denn sich über das Wetter zu ärgern, vermiest einem nur den Tag und wir hatten trotz eingeschränkter Sicht am ersten Tag eine tolle Zeit und werden uns sicher lange an diese Tour erinnern.
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